Wandergeselle zu Arbeitsbesuch bei HAHNER Technik: „Eines der letzten Abenteuer, die man heute noch erleben kann“
Nicht nur Zimmersleute gehen auf die Walz. Auch Metallbauer ziehen als Wandergesellen durchs Land, um ihr Handwerk zu verfeinern und menschlich zu reifen. Im Frühjahr 2024 stand Boas Meyer in der typischen Wandergesellen-Kluft bei HAHNER Technik vor der Tür und bot seine Mitarbeit an.
Und weil sich bei HAHNER Technik alle über frischen Wind und anpackende Hände freuen, war rasch klar: Der Schlosser auf der Walz darf gerne bleiben und das Team für ein paar Wochen bereichern. Eingebunden wurde er in die Herstellung eines großen Kunstobjektes für Schweden – eine Stahlskulptur in Form eines Meteors für eine Eisenbahnbrücke.
„Ich habe mich hier von Beginn an wohl gefühlt“, erzählt Boas Meyer. „Bernhard Hahner hat selbst einen Freund, der mal auf der Walz war, deshalb war gleich gegenseitige Sympathie im Raum. Ich schätze an HAHNER Technik, dass hier große, spannende und auch kompliziert-knifflige Projekte realisiert werden. Gleichzeitig ist alles durchdacht und mitarbeiterfreundlich: Ich habe noch nie in einem Betrieb gearbeitet, in dem es ein warmes Mittagessen gibt und wo alles so hell und gut ausgestattet ist.“
Hinaus in die Ferne
Boas Meyer stammt aus dem nordrhein-westfälischen Hohenhausen im Kreis Lippe und ihm ist anzusehen, dass er kräftig anpacken kann. Der gelernte Werkzeugmechaniker für Stanz- und Umformtechnik und Metallbauer für Konstruktionstechnik ist seit zwei Jahren auf Wanderschaft und hat mittlerweile schon fast alle Regionen Deutschlands und Orte der Schweiz bereist – und dabei viel erlebt. Gespräche mit einem ehemaligen Bankräuber, Nächte unterm Supermarkt-Dach bei strömenden Regen und Corona-Fieber auf fremden Sofas inklusive.
Mit Stolz unterwirft der 27-Jährige sich auf Wanderschaft den strengen Regeln seiner Gesellenvereinigungen, der „Gesellschaft der rechtschaffenen fremden Maurer und Steinhauergesellen“, zu denen auch die Metallbauer und Schlosser gehören. Auf Tippelei darf nur, wer unter 30 Jahren, unverheiratet und schuldenfrei ist.
Ehrenkodex der Wandergesellen: „Benimm dich immer so, dass der Wandergeselle, der nach dir kommt, genauso freundlich oder sogar noch freundlicher aufgenommen wird!“
Das zünftige Reisen
Unterwegs muss man sich anderen und auch sich selbst gegenüber „ehrbar und rechtschaffend“ verhalten, darf sich seinem Heimatort für drei Jahre und einen Tag nicht näher als 50 Kilometer nähern und auch kein Handy besitzen. Transport und Unterkunft müssen kostenfrei sein. Schlafplätze sucht man sich bei Bauern, fragt in der Kirchengemeinde oder spricht Einheimische auf der Straße an. Gearbeitet wird bei regionalen Betrieben jeder Größe, allerdings maximal für ein paar Monate und zu den ortsüblichen Tarifen, also nicht für Kost und Logis oder auf eigene Rechnung.
Wer die Zunftkleidung trägt – in Boas Meyers Fall eine graue Hose als Symbol für den Metallbau, ein weißes kragenloses Hemd mit nach innen gekrempelten Ärmeln und eine schwarze Weste – trägt auch Verantwortung für den Ruf aller Gesellinnen und Gesellen auf Wanderschaft. Die „Ehrbarkeit“, eine Art Krawatte, Ohrringe und die Handwerksnadel zeigen die Zugehörigkeit zum Schacht und Gewerk.
Unterstützernetzwerk mit Hand und Herz
Zu Beginn seiner Wanderschaft war Boas Meyer zunächst als „Freier Geselle“ unterwegs, er gehörte also keiner Gesellschaft an. „Ich habe mir nach meinen beiden Ausbildungen und mehreren Jahren Berufserfahrung einfach eine Kluft besorgt, drei Charlies gepackt – das sind die Tücher, in die wir unsere Habseligkeiten wie Wechselkleidung und einen Schlafsack packen – und bin losgelaufen. Auf Wanderschaft zu gehen war schon seit meiner Kindheit ein großer Traum von mir“, berichtet er. Alleine unterwegs zu sein, ohne Struktur und Ziel, das ist allerdings nicht lange gut gegangen. „Ich war total planlos und fühlte mich allein.“
Durch Kontakt zu anderen Wandergesellen, die sich unterwegs immer wieder auf der Straße, in Herbergen, auf Soli-Baustellen oder Festivals treffen, lernte der junge Schlosser schließlich die Gemeinschaft der „rechtschaffenen Fremden“ kennen und merkte: Hier will ich dazugehören. Die Gemeinschaft pflegt die traditionelle Wanderschaft und besteht aktuell aus rund 300 Wandergesellen. Auf der Denkmalmesse in Leipzig 2022 wurde Boas Meyer offiziell „eingebunden“, also zum Mitglied der „Gesellschaft der rechtschaffenen fremden Maurer und Steinhauergesellen“ benannt und damit Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft – wertvolle Unterstützung, Erfahrungen und Kontakte, wenn man ohne viel Geld unterwegs ist.
„Man ist ja immer alleine und fremd, wenn man irgendwo ankommt“, erzählt der Schlosser-Geselle. „Zugleich haben wir kein Smartphone, um uns auszutauschen oder zurechtzufinden – oder um uns auch mal abzulenken. Das ist anstrengend und wirft einen komplett auf sich selbst zurück, weswegen praktische aber auch moralische und emotionale Unterstützung durch Gleichgesinnte so wichtig ist.“
Aufzugeben kommt für den ehrbaren Handwerker allerdings nicht in Frage – das Versprechen, noch ein weiteres Jahr unterwegs zu sein, will er auf jeden Fall einlösen. Und am Ende ein Sängerfestival organisieren, denn das hat er seiner Gemeinschaft ebenfalls versprochen. Wie es nach den Wanderjahren weitergeht, steht noch in den Sternen. „Vielleicht gründe ich einen eigenen Betrieb oder lehre an einer Berufs- oder Hochschule.“ Für was auch immer er sich entscheidet: Boas Meyer hat auf Wanderschaft viele wertvolle Erfahrungen gesammelt – beruflich wie privat, fachlich wie persönlich.
„Die Welt ist komplett erkundet, man kann sich Dokumentationen über die entferntesten Gegenden der Erde anschauen. Aber einfach so drei Jahre lang ins Blaue zu laufen, ist ein echtes Abenteuer. Nur der liebe Gott weiß, was dann passiert.“ Wandergeselle Boas Meyer
Text: Christine Reith