Schraubfundamente – Eine Alternative zum Beton?
Lars Meeß-Olsohn bei den Stahlbau-Infotagen
Ursprünglich sollten die Stahlbau-Infotage 2020 mit einem Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Sandra Gelbrich von der TU Chemnitz zum Thema „Leichtbau im Bauwesen“ abschließen. Doch Corona stellt uns auch 2021 wieder vor organisatorische Herausforderungen, sodass Sandra Gelbrich am 18. und 19. November 2021 leider nicht zu uns nach Petersberg/Böckels kommen kann, aber für die Stahlbau-Infotage im Jahr 2022 schon zugesagt hat. Deshalb ist für diese Ausgabe der Veranstaltung Dr.-Ing. Lars Meeß-Olsohn an Bord gekommen, den ich schon viele Jahre kenne und der mich mit seinen textilen Konstruktionen und seinen Schraubfundamenten immer wieder zum Staunen bringt. Wahnsinn, was in diesem Bereich inzwischen alles möglich ist, da stehe ich als Stahlbauer manchmal mit offenem Mund davor und bin begeistert, mit welchen cleveren und teilweise simplen Konstruktionen Stabilität und Tragfähigkeit erzeugt werden. Das passt auch sehr gut zum Thema Nachhaltigkeit, welches Dr. Christine Lemaitre im folgenden Programmpunkt dann noch weiter ausführen wird.
Textile Konstruktionen in organischen Formen
Pandemiebedingt hatte ich Lars eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Vor kurzem war er mal wieder bei uns zu Besuch und hat mir seine neusten Projekte gezeigt: Kunstwerke, textile Konstruktionen und einen mobilen Hochwasserschutz, den er aus seinen Schraubfundamenten heraus entwickelt hat. Wirklich beeindruckende und inspirierende Ideen – und teilweise so simpel gedacht, dass ich mich fast ärgere, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Kennengelernt habe ich ihn vor vielen Jahren auf der internationalen Messe Techtextil in Frankfurt am Main. Ich war dort im Auftrag für TEXMER unterwegs und bin vor einer Konstruktion stehengeblieben, die mich schon beim ersten Anblick faszinierte. Ich ging auf die Suche nach den Verantwortlichen und bin auf Lars Meeß-Olsohn und Jens J. Meyer gestoßen, mit denen wir in den darauffolgenden Jahren einige Projekte verwirklicht haben, auch für das Betriebsgelände von HAHNER Technik. So ist beispielsweise die Textil-Installation „Flying Inspiration“ in unserem Veranstaltungsraum entstanden.
„Typisch für Lars: Kein Teil der Konstruktion ist gerade. Alles ist irgendwie krumm und rund – in Anlehnung an organische Formen. Das stellt uns als ausführende Stahlbauer immer wieder vor Herausforderungen.“
Netzwerker und Organisator in der Textilbranche
Nicht wegen unserer gemeinsamen Projekte stehe ich mit Lars regelmäßig in Kontakt, sondern auch über das Netzwerk TEXTILE-ARCHITEKTUR, dem ich mit HAHNER Technik beigetreten bin. Hier kommen alle möglichen Betriebe und Gewerke zusammen, die mit Membrankonstruktionen zu tun haben – Gewebe-Hersteller, Designer, Statiker, Segeltuchmacher, Konfektionäre, Großformatdrucker, Monteure, Softwareentwickler für Formfindungsprogramme und nun auch Stahlbauer. Eine wunderbare Gruppe aus Spezialisten, mit denen man sonst nie in Berührung kommen würde. Auch unser Referent Julian Lienhard ist Teil dieses Netzwerks. Und Lars hält die Truppe seit Jahren zusammen, führt sie an, organisiert gemeinsame Ausstellungen wie auf der R+T Messe im Februar 2022 und Tagungen – auch im Ausland. Er ist ein absoluter Netzwerker, kennt alle wichtigen Leute aus der Branche und leitet das Netzwerk mit großem Engagement und einem Leuchten in den Augen.
Schrauben als Ersatz für Betonfundamente?
Bei seinem Vortrag an den Stahlbau-Infotagen 2021 wird Lars Meeß-Olsohn ein paar seiner textilen Konstruktionen vorstellen, aber vor allem dreht sich sein Beitrag um die HELIX Schraubfundamente. Dieses Thema finde ich aus mehreren Gründen spannend. Zum einen lässt sich mit Schraubfundamenten bei der Nachhaltigkeit viel machen, denn der Zement in Beton trägt einen erheblichen Teil zur CO2-Emission bei. Wenn wir den Betonverbrauch weltweit halbieren würden, könnten wir so viel CO2 einsparen wie der gesamte Luftverkehr vor der Corona-Pandemie. Dazu müssen wir nach Ersatzprodukten suchen, verstärkt auf Leichtbauweise setzen und können eben mit Lars‘ Schraubfundamenten arbeiten. Zum anderen beeindruckt mich auch immer wieder, welche Stabilität und Tragfähigkeit mit diesen gebohrten Fundamenten erreicht werden kann. Die Schraubpfähle mit unterschiedlichen Querschnitte drehen sich bis zu mehreren Metern in den Untergrund und sind je nach Anforderung modular verlängerbar. Zur Fixierung wird oftmals vorgebohrt und das Schraubfundament eingedreht. Dabei wird das enorme (Ein-)Drehmoment digital aufgezeichnet, um die „Verzahnung“ mit dem Baugrund zu dokumentieren. Bei Bedarf kann durch einen Druck- oder Zugversuch die Tragfähigkeit überprüft werden. Reicht noch nicht? Also die Schraube wieder rausdrehen, Loch mit Split auffüllen, Schraubpfahl wieder reindrehen, neuer Zugversuch. Diese Prozedur der Nachverdichtung kann u.U. zwei- bis dreimal wiederholt werden, um bei weichen Böden eine zusätzliche Verdrängung zu erreichen und die Schraube wirklich fest im Boden zu verankern.
„In den vergangenen Jahren hat Lars so gut wie jeden bekannten Boden unter die Lupe genommen und weiß jetzt genau, in welchen Untergrund er reinbohren darf und wo sein Schraubfundament garantiert hält.“
Einsatz zum Hochwasserschutz
Ich habe inzwischen gelernt: Für torfartige Untergründe oder groben Kies sind die Schraubfundamente nicht oder bedingt geeignet, doch in Granit kann reingebohrt werden. Lars ist auf jeden Fall ein Experte auf diesem Gebiet und liefert auf Bestellung alles Notwendige rund um die Schraubfundamente mit dazu: Berechnungen, Genehmigungsverfahren, Einschätzung des Untergrunds etc. Solche Schraubfundamente eignen sich natürlich optimal, um damit textile Konstruktionen und Kunstwerke aufzustellen. Doch die Einsatzmöglichkeiten lassen sich meiner Meinung nach noch gar nicht überblicken: Solarparks, Großzelte, Terrassenanbauten, Tiny Houses – Schraubfundamente sind vor allem für leichte und mobile Konstruktionen eine echte und vor allem nachhaltige Alternative. Beispiel Hochwasserschutz: Da wird zwischen den Schraubfundamenten mit Stahlgestell ein Drahtseil gespannt, an dem ein robustes Gewebe befestigt ist. Wenn das Wasser kommt, drückt es die Plane unten auf den Boden (wodurch diese abgedichtet ist) und steigt an der textilen Barriere empor. Einfacher geht’s doch gar nicht! Ich persönlich freue mich auf Einblicke in seine aktuellen Projekte und meine Augen werden dabei wieder vor Begeisterung funkeln, das weiß ich jetzt schon.