Warum ich senkrechte Linien mit links & horizontale mit rechts zeichne
Warum ich senkrechte Linien mit links und horizontale mit rechts zeichne
Wenn wir neue Mitarbeiter bei HAHNER Technik bekommen und ich das erste Mal mit diesen zusammenarbeite, dann wandern schon mal irritierte Blicke zu meinen Händen. Beim Zeichnen halte ich den Stift in der linken Hand, zum Schreiben wandert er in die rechte Hand und mit der linken Hand greife ich dann wiederum zur Schere – vorausgesetzt es ist eine Linkshänderschere. Eingefleischte Rechtshänder sind es nicht gewöhnt, dass jemand abwechselnd mit beiden Händen arbeitet. Bloß mit beiden Händen gleichzeitig schreiben, das kann ich dann doch nicht.
Bin ich nun Links- oder Rechtshänder?
Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass ich eigentlich Linkshänder bin. Doch diese Erkenntnis hat viele Jahre gedauert, vor allem weil Linkshänder in meiner Kindheit und Jugend noch nicht akzeptiert wurden. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, da war das zunächst egal. Mit 1,5 Jahren hat mir ein Pferd die Fingerkuppe des rechten Mittelfingers abgebissen. Zwischendurch hat sich die Wunde entzündet, es wurde schon überlegt den Finger zu amputieren. Zum Glück durfte ich den Finger behalten, doch die Kuppe fehlt immer noch. Nach dem Unfall musste ich meine rechte Hand schonen und viel mit der linken Hand ausgleichen. Schon damals habe ich gemerkt, dass ich mit der linken Hand eigentlich besser zurechtkomme.
„Linkshänder waren zu dieser Zeit nicht wirklich angesagt.“
Rechtshänderzwang in der Schule
Während meiner Schulzeit gab es keine Linkshänder – da mussten alle mit der rechten Hand schreiben. Und meine Handschrift sah wirklich grausig aus. Doch das wurde darauf geschoben, dass ich meine rechte Hand nach dem Pferdebiss geschont habe. Ich müsse das eben lernen, hieß es von den Lehrern. Beim Schreiben wollte der Stift dauernd in meine linke Hand, aber er durfte nicht. Sie wurde sogar verbunden, damit ich den Stift nur rechts halten kann und gar nicht erst in die Versuchung komme. Also habe ich mich mit der rechten Hand durch die Schulzeit gequält und mühsam schreiben gelernt. Nicht wirklich schön, aber lesbar. Ähnlich erging es mir beim Schneiden. Scheren für Linkshänder gab es in meiner Schule noch nicht, also habe ich unter Schmerzen eine Rechtshänderschere benutzt, bis mir meine Mutter eine Linkshänderschere gekauft hat. Der Vorteil: Die anderen Kinder wollten nicht damit schneiden, weshalb ich sie immer verwenden konnte. Sobald die Schulglocke läutete, bin ich zum Schrauben in die Werkstatt gegangen. Hier habe ich hauptsächlich mit der linken Hand gearbeitet, das ging viel besser. Schon damals kam bei mir der Gedanke auf, dass ich wahrscheinlich doch Linkshänder bin.
Ich arbeite mit beiden Händen
Nach der Schule bin ich an die Fachoberschule gegangen und musste dort Normschrift lernen. Frage: Ist Normschrift nun gezeichnet oder geschrieben? Denn für das Schreiben ist eigentlich meine rechte Hand zuständig und für das Zeichnen meine linke. Je komplexer meine Aufgaben wurden, desto häufiger hat mein Stift die Hand gewechselt. Mit der Zeit habe ich mich an eine beidhändige Arbeitsweise gewöhnt. Manche Tätigkeiten kann ich sowohl mit der rechten als auch mit der linken Hand ausführen, zum Beispiel schreiben. Ich schreibe mit der linken Hand zwar nicht so schnell, weil ich es mit ihr nicht richtig gelernt habe, aber der Wechsel zwischen beiden Händen ist für mich kein Problem. Deshalb kann es schon mal vorkommen, dass ich beim Erklären den Stift während des Schreibens in die andere Hand nehme, was bei meinem Gegenüber Verwirrung hervorruft. Auch beim Motorradfahren merke ich den Vorteil, dass ich mit jeder Maschine umgehen kann, egal ob die Bremse rechts und die Schaltung links ist oder andersherum.
„Zeitweise wusste ich gar nicht mehr, wie ich es machen sollte.“
Schneiden mit rechts, Hämmern mit links
Doch manche Tätigkeiten sind auch klar einer Hand zugewiesen. So schreibe ich im Alltag beispielsweise mit rechts, Normschrift allerdings mit links. Einen Hammer würde ich eigentlich in die linke Hand nehmen, die andere geht aber notfalls auch. Senkrechte Linien zeichne ich mit links, horizontale mit rechts. Ich komme auch gern mal durcheinander und vertausche das Besteck beim Tischdecken. Wenn ich unsicher bin, wo gerade links und wo rechts ist, dann berühre ich mit meinen Daumen die Mittelfinger und spüre den verkürzten Finger an meiner rechten Hand. Das mache ich heute noch unbewusst.
Lieber Besonderheiten fördern als verzweifelt anpassen
Mittlerweile bin ich Rechts- und Linkshänder und komme damit gut zurecht. Doch eigentlich bin ich Linkshänder, was mir erstmals durch die Verletzung meiner rechten Hand aufgefallen ist. Von Anfang an musste ich gegen Widerstände arbeiten und habe unter anderem durch den Zwang zum Schreiben mit der rechten Hand eine Abneigung gegen die Schule entwickelt. Deshalb kann ich nur an alle Eltern appellieren, dass sie die stärkere Hand ihres Kindes fördern sollen. Inzwischen gibt es extra Equipment für Linkshänder, das macht es schon mal deutlich einfacher. Was ich aus der ganzen Geschichte gelernt habe: Lieber soll man seine Stärken fördern, statt an seinen Schwächen rumzudoktern. Das frisst nur Energie und bremst einen selbst aus. Fähigkeiten erkennen, wertschätzen und ausbauen – nach diesem Grundsatz arbeiten wir hier auch bei HAHNER Technik. Wenn ein Mitarbeiter merkt, dass er eine andere Tätigkeit viel besser kann oder viel lieber macht, dann versuchen wir ihn dahingehend zu fördern, sodass jeder bei uns mit seiner Arbeit zufrieden ist und sein Bestes geben kann.