Kunst aus Stahl – An der Grenze des Möglichen?
Herwig Bretis bei den Stahlbau-Infotagen
In meinem letzten Blogbeitrag zum Programm der Stahlbau-Infotage geht es noch einmal um ein Herzensthema von mir: Kunstobjekte. Ich selbst bin eher Ingenieur als Künstler, aber um einzigartige, filigrane und teilweise unmöglich erscheinende Kunstobjekte aus Metall zu realisieren, braucht es auch mutige und einfallsreiche Stahlbauer, die solche Herausforderungen bewältigen können. Und ich selbst liebe diese Herausforderungen! Ich bin erst zufrieden, wenn alle Probleme gelöst, alle Risiken bedacht und alle Bauteile gefertigt sind. Am Ende muss auch wirklich das Kunstwerk vor uns stehen, welches im Kopf des Künstlers entstanden ist. Oder zumindest eine für die Fertigung optimierte Form davon. Ohne unseren Referenten Herwig Bretis wäre ich vielleicht nie zu solchen Kunstwerken gekommen. Denn er beschäftigt sich als Dipl.-Ingenieur und Geschäftsführer von ArtEngineering ausschließlich mit der Planung und Realisierung von Kunstobjekten im weitesten Sinne. In Österreich geboren, hat er zunächst Zimmermann gelernt und anschließend in Deutschland ein Studium zum Diplom-Bauingenieur (FH) absolviert. Nebenbei ist er schon durch ein Praktikum ins Ingenieurbüro von Dr. Switbert Greiner eingestiegen und hat später als Geschäftsführer dessen Firma ArtEngineering übernommen. Glücklicherweise durfte ich ihn vor ein paar Jahren kennenlernen.
Im Dialog entstehen die besten Ideen
Herwig Bretis ist Ingenieur, ich bin Ingenieur, das hat von Anfang an gepasst. Wir sprechen die gleiche technische Sprache, auch wenn wir aus verschiedenen Bereichen kommen. Das haben wir schon bei diversen gemeinsamen Projekten gemerkt, zum Beispiel bei den Skulpturen Para Pivot und LinienLand für die Künstlerin Alicja Kwade. Auch bei einer extrem anspruchsvollen Dachkonstruktion für die Almaly Shopping Mall in Kasachstan haben wir ArtEngineering für die Planungsleistung mit ins Boot geholt. Seitdem sind noch einige gemeinsame Projekte entstanden, weitere sind für die Zukunft schon geplant. Wir arbeiten ab Projektbeginn Hand in Hand zusammen, um unser Know-how von Anfang an zu kombinieren. Denn das Ergebnis wird durch unseren intensiven Austausch auf jeden Fall besser, als wenn jeder für sich allein rumwerkeln würde. Herr Bretis beherrscht wie kein anderer die theoretische Planung und Konstruktion, ich arbeite an der technischen Umsetzung. Dafür brauchen wir beide ein gutes Vorstellungsvermögen und ringen miteinander um die beste Idee. Was der eine nicht weiß, kann der andere ergänzen. Ich bin erstaunt, wie rasant sich unsere Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren entwickelt hat, wo wir uns überall rantrauen und was wir alles gemeinsam realisieren können. Bei jedem Projekt reizen wir die Grenzen des Machbaren erneut aus oder überschreiten diese auch mal. Aber trotzdem kriegen wir es am Ende irgendwie hin.
„Es geht nicht darum, wer die beste Idee hat. Es geht darum, wie wir das Beste aus der Idee rausholen können.“
Ingenieurleistung hinter den Kulissen
Somit steckt auch ein bisschen HAHNER-DNA in den Kunstobjekten, denn wir feilen gemeinsam mit ArtEngineering an der optimalen Umsetzung der Konstruktionen, sodass wir ein Stück weit Einfluss darauf nehmen. Wenn ich mit Herrn Bretis nach einer technischen Lösung suche, dann ist das für uns beide so spannend wie ein Krimi. Wenn der Künstler dann noch mit dazu kommt, dann wird’s nochmal interessanter. Denn alle möglichen Risiken, die bei der Umsetzung einer solch komplexen Konstruktion schief gehen können, müssen wir bei der Planung schon mitdenken und umschiffen, damit am Ende auch alles klappt und nichts passiert. Für die wochenlange Montage einer komplexen Konstruktion am anderen Ende der Welt gibt es keinen Plan B. Das muss beim ersten Anlauf funktionieren. Ein Beispiel aus der Praxis: Für ein Kunstwerk aus einer Vielzahl von Rohren mussten wir Schablonen entwickeln, welche die Rohre während der Montage in einer exakten Position fixieren sollten. Allerdings sind die Schablonen nicht Teil des Kunstwerks, also müssen wir sie aus der fertigen Konstruktion wieder entfernen. Wenn wir da mit einem Winkelschleifer rangehen, erwischen wir bei den letzten zwei Millimetern sicherlich das Rohr. Also hatte ich die Idee, dass wir in die Schablonen einen kleinen Schlitz integrieren, sodass wir einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen Winkelschleifer und Rohr haben. Meinen Vorschlag habe ich Herrn Bretis unterbreitet, der hat sofort verstanden worum es geht und die Sollbruchstellen in die Schablonen eingeplant. Am Ende sind die Schablonen eigentlich Schrott, aber in unseren Überlegungen sind sie selbst schon eine Ingenieurleistung und ein halbes Kunstwerk, das wir in mehreren Anläufen entwickelt und verbessert haben.
Grenzen neu definieren
Mit Herwig Bretis haben wir einen echten Spezialisten für außergewöhnliche Konstruktionen und Anforderungen für die Stahlbau-Infotage am 18. und 19. November 2021 gewonnen. Wo andere Planer unmöglich erscheinende Ideen sofort verwerfen oder gar nicht auf sie kommen, denkt ArtEngineering noch vier- bis achtmal darüber nach, ob sie sich nicht doch realisieren lässt. Die Ingenieure müssen sich zwar an die physikalischen und gesetzlichen Einschränkungen halten, aber alle anderen Regeln scheinen in ihren Köpfen außer Kraft gesetzt zu sein. Dabei bringt Herr Bretis bereits einen großen Erfahrungsschatz aus seiner langjährigen Tätigkeit mit und hat schon mit unterschiedlichsten Materialien, Künstlern, Kunstwerken und Partnern zu tun gehabt. Dadurch kennt er auch für jede noch so abwegige Anforderung mindestens einen Spezialisten, der das realisieren könnte. Beispielsweise kommt der Kleber aus der Klebstoff-Forschung des Fraunhofer-Instituts und die Spezialdichtung aus dem 3D-Drucker. Hier ist nichts mehr normal, sondern alles irgendwie besonders und einzigartig. Und einmal im Jahr baut das Team von ArtEngineering auch ein Kunstwerk selbst auf, um den Bezug zur Praxis zu bewahren und der ganzen Welt zu zeigen: Unsere Konstruktion funktioniert, auch wenn es uns keiner geglaubt hat.
„Solange wir unsere Grenzen nicht ausloten und manchmal auch überschreiten, wissen wir gar nicht, wo unsere Grenzen überhaupt sind.“
Grillen inmitten der Fertigungsmaschinen
Bei all der Vision und dem bisschen Wahnsinn, mit dem ArtEngineering Kunstobjekte in die Realität umsetzt, hat Herr Bretis eine ganz ruhige und strukturierte Art, komplexe Zusammenhänge detailgenau zu erklären und präzise zu formulieren. Allerdings sollte man ihm ganz genau zuhören, denn er sagt Sachen nur einmal – denn dann sind sie ja für alle Beteiligten klar. Umso mehr freue ich mich auf seinen Vortrag am Donnerstagnachmittag bei den Stahlbau-Infotagen, bei dem ich ihm ganz genau zuhören werde. Anschließend übernehme ich die Bühne und gebe unseren Gästen einen Einblick in die HAHNER-Unternehmensgruppe – damit unsere Partner und Kunden unsere Fertigungsmöglichkeiten für zukünftige Projekte besser kennenlernen. Danach haben wir eine tolle Indoor-Veranstaltung in unserer Werkhalle geplant. Direkt unter der Lichtkuppel bauen wir einen Ofyr-Grill auf und lassen uns bekochen, während wir inmitten von Stahl, Maschinen und aktuellen Projekten sitzen und uns über die neuen Eindrücke austauschen können. Außerdem bringt Herwig Bretis seine Augmented-Reality-Brille mit, die uns realitätsnahe Einblicke in seine Projekte gibt und uns ganz neue Möglichkeiten für die Planung eröffnet. Eines kann ich garantieren: Mit unseren eingeladenen Gästen und unseren hochkarätigen Referenten haben wir eine einzigartige Truppe vor Ort, welche die Zukunft des Stahlbaus entscheidend mitgestalten wird.
Mit diesem Blogbeitrag beende ich meine Reihe zum Programm der Stahlbau-Infotage. Doch die spannenden Vorträge gehen am nächsten Tag weiter – mit den parametrischen Konstruktionen von Prof. Dr.-Ing. Julian Lienhard. Sie haben keine Ahnung was dahinter steckt? Dann lassen Sie sich überraschen, es wird komplex.
Titelbild: © Studio Alicja Kwade