Parametrische Konstruktionen – Komplexität flexibel gedacht
Julian Lienhard bei den Stahlbau-Infotagen
Haben Sie schon mal von parametrischen Konstruktionen gehört? Ich bis vor ein paar Jahren auch nicht – bis ich Prof. Dr.-Ing. Julian Lienhard getroffen habe. Wir haben gemeinsam an einem sehr komplexen Projekt gearbeitet und seine parametrische Konstruktion hat uns so fasziniert, dass wir diese Begeisterung gern bei den Stahlbau-Infotagen am 18. und 19. November 2021 in Petersberg/Böckels weitergeben möchten. Das Thema klingt erst einmal komplex, hilft uns im Stahlbau jedoch dabei, Komplexität einfacher zu handhaben. Unser Referent hat in den vergangenen Jahren eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere absolviert und ist inzwischen Leiter des Instituts für Tragwerksplanung (TWE) an der Universität Kassel. Allerdings hat er sich als Bauingenieur ebenso der praktischen Anwendung verschrieben und vor zwölf Jahren ein Ingenieur- und Konstruktionsbüro mitbegründet – die heutige str.ucture GmbH.
Wenn wir mit unseren Berechnungen am Ende sind
Vor vier Jahren standen wir vor einer ganz besonderen Herausforderung: dem Mitoseum im Saurierpark Bautzen. Geplant war eine blasenförmige Membrankonstruktion aus rund 9.000 Einzelteilen, bei der jedes Teil ein bisschen anders war als alle anderen Teile. Das heißt: Jedes Teil war einzigartig, musste einzeln berechnet und einzeln hergestellt werden. Auf dem Papier wäre diese Konstruktion unmöglich zu berechnen gewesen, da bei jeder noch so kleinen Änderung alle 9.000 Teile betroffen waren. Und da kam HAHNER Technik das erste Mal in Berührung mit parametrischen Konstruktionen und ich lernte Julian Lienhard kennen, der als Geschäftsführer der str.ucture GmbH für die Planung zuständig war. Mit ihm haben wir sehr eng zusammengearbeitet und wir haben unsere Erfahrungen aus Theorie und Praxis zusammengebracht, um dieses Projekt zu realisieren.
„Eine parametrische Konstruktion macht Komplexität in dieser Dimension überhaupt erst möglich.“
Parametrische Konstruktionen – Was ist das?
Was genau heißt jetzt „parametrische Konstruktion“? Das bedeutet, dass die Konstruktion komplett als 3D-Modell am Computer entsteht und die einzelnen Knotenpunkte in Abhängigkeit zueinander erstellt werden. Wenn wir also während der Planung und Fertigung Anpassungen vornehmen müssen, dann ändern wir das 3D-Modell an der entsprechenden Stelle und der Computer berechnet alle anderen Teile automatisch neu, sodass wir am nächsten Tag wieder ein aktuelles und vor allen Dingen exakt passendes 3D-Modell zur Verfügung haben. Dieses können wir dann ohne Medienbruch direkt an unsere Produktionsanlagen übertragen – ein weiterer Schritt in Richtung Industrie 4.0. Das Mitoseum war die erste Konstruktion in der Geschichte von HAHNER Technik, zu der wir keine einzige Fertigungszeichnung mehr hatten. Alles kam aus dem Computer und wurde nach diesem Datensatz direkt hergestellt. Für solch eine Produktion müssen die Daten aber auch zu hundert Prozent stimmen – und dafür hat Julian Lienhard gesorgt. Das beeindruckende Ergebnis steht heute im Saurierpark in Bautzen, auf jeden Fall einen Besuch wert!
„Daten und Maschinen sind entkoppelt. Herr Lienhard kann die Konstruktion irgendwo auf der Welt planen und den Datensatz nach Böckels schicken.“
Die Rolle von Daten im Stahlbau der Zukunft
Dieses Beispiel hat mir wieder einmal vor Augen geführt, dass solche komplexen und außergewöhnlichen Konstruktionen nur machbar sind, wenn wir gegenseitig unsere technischen Möglichkeiten kennen. So können wir die Datensätze von Herrn Lienhard direkt auf unsere Fertigungsmaschinen übertragen und ohne Medienbruch passgenaue Teile nach seinem Modell herstellen. Und genau dafür veranstalten wir die Stahlbau-Infotage in Petersberg/Böckels – um uns auszutauschen und um gemeinsam groß und neu zu denken. Ich bin sehr gespannt auf seinen Vortrag, er wird uns einen Einblick in die Zukunft des Stahlbaus und die Arbeit mit Daten geben. Aber ich möchte von ihm auch wissen, welchen Stellenwert Planung bei zukünftigen Projekten einnehmen wird. Aktuell wird die Planungsleistung oft noch als Nebenleistung abgetan, doch bei so einem Projekt wie dem Mitoseum war die Planung der Dreh- und Angelpunkt für alle weiteren Schritte.
Nach so einem inspirierenden Beitrag am Freitagmorgen geht es ebenso eindrucksvoll weiter – mit den Schraubfundamenten von Lars Meeß-Olsohn, die eine ganz neue Art der Flexibilität und Mobilität von stabilen Konstruktionen ermöglichen. Einen kleinen Ausblick dazu gebe ich in meinem nächsten Blogbeitrag. Bis dahin können Sie sich zu den vorherigen Themen wie Brandschutzbeschichtungen und Feuerverzinken informieren.